Das Coronavirus Covid-19
Anfangs Januar 2020 wurde ich aufmerksam über die ersten Coronavirusinfektionen aus China. Zu diesem Zeitpunkt glaubte niemand, dass sich aus diesem Krankheitsausbruch eine weltweite Pandemie entwickeln könnte.
Seitdem treffen täglich neue Zahlen auf uns Menschen ein. Immer mehr Infizierte, immer mehr Todesfälle. Neue Berechnungen, Statistiken, steigende Kurven neuer Infizierter und Todesfälle. Verdoppelungsraten und Sterberaten. Doch welche Zahlen stimmen und sind verlässlich?
Ich hoffe mit meiner Arbeit etwas mehr Klarheit über die Aussagekraft der Zahlen und der derzeit viel diskutierten und tatsächlich erfolgten Massnahmen geben zu können.
COVID-19 – Zahl der klinisch Erkrankten im Land
Viele Hochrechnungen sagten voraus, daß durch die Verdoppelungen der diagnostizierten Fallerkrankungen an Corona es in den Spitälern zu Kapazitätsengpässen kommen wird. Dadurch folglich eine Versorgung der Erkrankten im deutschsprachigen Raum bis Anfang April erschöpft sein wird. Dieses Szenarium ist nicht eingetreten. Ob die bisher ergriffenen Isolations-Maßnahmen das Szenario günstig beeinflussten ist nicht bewiesen. Schweden fährt eine andere Politik betreffend Coronavirus und setzt vermehrt auf Eigenverantwortung der Bürger. In Schweden wurden vergleichsweise nicht alle öffentlichen Geschäfte geschlossen. In Schweden liegt die aktuelle Zahl der Infizierten (Confirmed) bei gemessenen 9685 Bürgern, in der Schweiz beträgt die Zahl der Infizierten 24551. Interessant wird der Vergleich bei der Todesrate gemessen an der Population auf 100`000 (Deaths//100 k Pop.). Hier zeigt die Statistik das in Schweden 11,77 Menschen an Corona auf 100`000 Einwohner gestorben sind. In der Schweiz dagegen nur 8 Menschen auf 100`000 Einwohner. Die Case-Fatality (Falltodesrate) liegt in der Schweiz aktuell nur bei 4,1 Prozent, in Schweden bei 9 Prozent.
https://coronavirus.jhu.edu/data/mortality letzter Aufruf 11.4.2020
COVID-19-Wahrscheinlichkeit an der Krankheit zu sterben (Tödlichkeit)
Für die 10 Länder, die weltweit am stärksten von COVID-19 betroffen sind, zeigen die Balken in der folgenden Tabelle die Anzahl der Todesfälle entweder pro 100 bestätigten Fällen (beobachtetes Todesfallverhältnis) oder pro 100.000 Einwohner (dies entspricht der Gesamtbevölkerung eines Landes, wobei beide bestätigt wurden, Fälle und gesunde Menschen). Länder an der Spitze dieser Zahl haben die meisten Todesfälle proportional zu ihren COVID-19-Fällen oder ihrer Bevölkerung, nicht unbedingt die meisten Todesfälle insgesamt.
https://coronavirus.jhu.edu/data/mortality letzter Aufruf 11.4.2020
Ich bin mir darüber im Klaren, daß es keine zuverlässigen Zahlen über die Letalität von COVID-19 gibt. Man muss sich darüber klar werden, daß die simple Division der Anzahl der Todesfälle durch die Anzahl der diagnostizierten Erkrankungen zu einer substantiellen Überschätzung der sogenannten "Case Fatality Rate" (CFR) führt. Nach den Real-Time-Angaben des Center for Systems Science and Engineering der Johns Hopkins Universität gab es am 11.4.2020 insgesamt 1`677`256 durch den PCR-Schnelltest gesicherte Infektionen und 101`732 Todesfälle. Dies entspräche einer Tödlichkeit (Letalität) von 6,0%. Diese Zahl ist jedoch fehlerhaft:
- COVID-19 verläuft in der Mehrzahl der Fälle mit milden Erkältungssymptomen oder gar symptomfrei. Mit grosser Wahrscheinlichkeit werden nicht alle tatsächlich aufgetretenen Infektionsfälle erfasst. Die Todesfälle nahezu vollständig. Dadurch kommt es zu einer Überschätzung der CFR. Nach einer Studie mit 565 Japanern, die aus Wuhan evakuiert worden waren und alle getestet wurden (unabhängig vom Vorliegen von Symptomen) werden durch die derzeit praktizierte symptomorientierte COVID-19-Überwachung nur 9,2% der Infizierten entdeckt. Das würde bedeuten, dass die Zahl der Infizierten voraussichtlich etwa 10-mal größer ist als die Zahl der erfassten Erkrankungen. Die CFR wäre dann nur etwa ein 10tel der aktuell Gemessenen. Andere gehen von einer noch höheren Dunkelziffer aus, wodurch sich die CFR weiter senken würde.
- Die Verfügbarkeit der SARS-CoV-2-Tests war und ist nicht überall gegeben. So ist beispielsweise in den USA erst seit 11.3.2020 eine ausreichende, staatlich finanzierte Testmöglichkeit für alle Verdachtsfälle vorhanden. Auch in Deutschland bestanden teilweise Engpässe, die zu einer Überschätzung der CFR beitragen.
- Mit zunehmender Verbreitung der Erkrankung wird es immer schwieriger, eine vermutete Infektionsquelle auszumachen. Dies führt dazu, dass banale Erkältungen nicht unbedingt mit COVID-19 in Verbindung gebracht werden und Betroffene deshalb gar nicht zum Arzt gehen.
- Zu einer Überschätzung der CFR kommt es auch, wenn bei Verstorbenen eine Infektion mit SARS-CoV-2 zwar nachgewiesen wird, diese jedoch nicht den Tod herbeigeführt hat.
Hohe Aussagekraft
Die Todesfälle betreffen in erster Linie vor allem hochbetagte Menschen. Diese Menschen weisen kardiovaskulären und pulmonalen Vorerkrankungen auf.
Im Februar 2020 wurde eine Analyse vom chinesischen Center of Disease Control veröffentlicht. Dort waren 81% der an COVID-19 Verstorbenen über 60 Jahre alt. Kein einziges der 416 Kinder <10 Jahren war unter den Todesfällen. Allerdings lag die CFR auch bei Betroffenen <60 Jahren bei 0,6%.
Etwas andere Zahlen kommen aus Italien. Hier gab es nur einen einzigen Verstorbenen unter 50 Jahren, während knapp 60% der Todesfälle Menschen >80 Jahre betrafen.
Im Gegensatz zu COVID-19 betrafen beispielsweise bei der Influenza-Pandemie 1918/19 fast 50% der Todesfälle die Altersgruppe 20-40 Jahre.
Ein wesentlicher Risikofaktor sind die Begleiterkrankungen. In der chinesischen Studie hatten 67,2% der Verstorbenen mindestens eine chronische Begleiterkrankung, am häufigsten Hypertonie (39,7%), eine kardiovaskuläre Erkrankung (22,7%), Diabetes mellitus (19,7%) und chronische Atemwegserkrankungen (7,9%). Personen ohne Vor- oder Begleiterkrankungen wiesen eine CFR von 0,9% auf. Auch hier unterscheidet sich COVID-19 deutlich von der Influenza-Pandemie 1918/19, in der viele junge Menschen ohne wesentliche Begleiterkrankungen verstorben sind.
Zusammenfassend kann man festhalten, das der Schaden durch COVID-19- vorzeitige Todesfälle beträchtlich ist.
Effektivität von nicht-pharmakologischen Interventionen (NPI)
An dieser Stelle sollen vor allem die derzeit praktizierten und angedachten Maßnahmen des "Social Distancing" erörtert werden, also staatliche Interventionen von der Schließung von Bildungseinrichtungen, Betriebe bis hin zur vollständigen Ausgangssperre.
Als historisches Beispiel für die Effektivität von NPI werden die unterschiedlichen Reaktionen amerikanischer Städte auf die Influenza-Pandemie 1918 angeführt. Während in St. Louis drei Tage nach dem Auftreten der ersten Influenza-Fälle bereits drastische Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung ergriffen wurden (Schließung von Schulen, Kirchen, Theatern, Lokalen, Absage öffentlicher Veranstaltungen u.a.), wurde in Philadelphia nach dem Ausbruch noch eine große Stadt-Parade durchgeführt und wirksame Containment-Maßnahmen erst zwei Wochen später implementiert. Die Folgen waren dramatisch: In St. Louis erreichte die Todesfallrate in der Spitze 31/100.000 Einwohner, während diese in Philadelphia auf 257/100.000 Einwohner stieg und es als Folge zu einem Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung kam. Auch die Gesamtzahl der Todesfälle lag mit 347/100.000 Einwohnern in St. Louis etwa bei der Hälfte von Philadelphia (719/100.000 Einwohner). Ob die Erfahrungen aus der Influenza-Pandemie 1918/19 allerdings auf COVID-19 übertragbar sind, ist vollkommen unklar. Die Tatsachen, dass damals hinsichtlich der Todesfälle vor allem junge Leute betroffen waren und dass weder Hygienestandards noch medizinische Versorgung 1918/19 mit heute vergleichbar sind, spricht eher gegen eine Übertragbarkeit.
Über die (eher fragwürdigen) Schlüsse aus dem historischen Beispiel hinaus gibt es wenig Evidenz, dass NPIs bei COVID-19 tatsächlich zu einer Verringerung der Gesamtmortalität führen. Ein Cochrane Review aus dem Jahr 2011 fand keine belastbare Evidenz für die Effektivität von Screening bei Grenzkontrollen oder Social Distancing, allerdings in erster Linie aufgrund fehlender Studien und mangelhafter Studienqualität. Eine systematische Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2015 findet moderate Evidenz für Schulschließungen, um die Ausbreitung einer Influenza-Epidemie zu verzögern, allerdings verbunden mit hohen Kosten. Isolation im Haushalt verlangsamt zwar die Ausbreitung, führt aber zur vermehrten Infektion von Familienangehörigen. Bei all diesen Erkenntnissen stellt sich die Frage nach der Übertragbarkeit von der Influenza auf COVID-19.
Es ist gänzlich unklar, wie lange die NPIs aufrechterhalten werden müssen und welche Effekte in Abhängigkeit von Zeit und Intensität damit erzielt werden könnten. Möglicherweise wird die Zahl der Toten nur auf einen späteren Zeitpunkt verschoben, ohne dass sich an der Gesamtzahl etwas ändert. Im Gegensatz zur saisonal verlaufenden Grippe wissen wir nicht, wie sich SARS-CoV-2 weiter verhalten wird, ob das nahende Frühjahr auf der Nordhalbkugel zu einem natürlichen Stopp der Ausbreitung führen wird oder ob das Virus sich kontinuierlich und zeitlich unbegrenzt weiter ausbreiten wird, bis ein Großteil der Menschheit die Infektion durchgemacht hat und immun geworden ist. Letzteres erscheint derzeit eher wahrscheinlich.
Mögliche indirekte Schäden durch COVID-19 und NPIs
Auch für die möglichen indirekten Schäden der Pandemie gibt es wenig Evidenz. Die Schäden durch die Pandemie gehen jedenfalls weit über die Todesfallrate hinaus. Durch die Erkrankung kommt es nicht nur zu einer gravierenden Belastung des Gesundheitssystems mit möglicherweise reduzierter oder schlechterer Versorgung der nicht an COVID-19 erkrankten Patienten, sondern auch zu Arbeitsausfällen großen Ausmaßes.
Andererseits haben die derzeit ergriffenen NPIs massive Auswirkungen, die weit über den wirtschaftlichen Einbruch und das Abstürzen der Aktienkurse hinausgehen. Welche psychischen und gesellschaftlichen Auswirkungen haben soziale Isolierung? Wie viele ausländische Betreuungskräfte wollen oder können aufgrund der Grenzschließung und der Auflagen zum Coronavirusschutz, wie der 14-tägigen Quarantäne nach Heimkehr, nicht mehr ihren Dienst bei unseren pflegebedürftigen älteren Menschen antreten und welche Auswirkungen hat das? Wie viele Arbeitsplätze werden verlorengehen, wie viele Unternehmen werden kollabieren? Wen werden die wirtschaftlichen Folgen am härtesten treffen? Werden die NPIs dazu beitragen, soziale Unterschiede zu vergrößern?
Das Schließen der Schulen mag die Transmissionsraten unter Kindern reduzieren, aber wird es wirklich helfen, die Pandemie zu stoppen und – das ist ja das wichtigste Ziel – die Todesraten zu senken? Werden die Kinder sich nicht außerhalb der Schule treffen, die Eltern in Ermangelung von Betreuung von der Arbeit abhalten und dann die Großeltern besuchen – und damit genau die Personengruppe einem Risiko aussetzen, die am meisten geschützt werden muss?
Es ist unmöglich, zum jetzigen Zeitpunkt abzuschätzen, ob durch unbeeinflusste rasche Ausbreitung der Erkrankung oder durch ein Hinauszögern der Ausbreitung und eine dadurch bedingte Verlängerung des gesamten Erkrankungszeitraums der größere Schaden angerichtet wird, der dann auch wieder indirekte Auswirkungen auf Gesundheit, Lebensqualität und Lebenserwartung haben kann.
Wo ist die Evidenz?
Viele Fragen bleiben offen. Wir sind einerseits mit den nackten Zahlen einer exponentiell steigenden Anzahl von Erkrankten und Toten weltweit konfrontiert, die uns die Medien tagtäglich in beängstigender Form vor Augen halten. Die mediale Berichterstattung berücksichtigt jedoch in keiner Weise die von uns geforderten Kriterien einer evidenzbasierten Risikokommunikation.
In den Medien werden aktuell die Rohdaten kommuniziert, etwa bisher gibt es "X" Infizierte und "Y" Todesfälle. Dabei wird nicht zwischen Diagnosen und Infektionen differenziert. Es handelt sich bei den gemeldeten Fällen jeweils um Diagnosen. Die Gesamtzahl der Infizierten ist jedoch nicht bekannt. Dazu bräuchte es eine vollständige Testung einer repräsentativen Stichprobe aus der Bevölkerung.
Die Nennung von Fällen ohne Bezugsgrößen ist irreführend. So werden beispielsweise für die einzelnen Länder, Bundesländer oder Regionen lediglich Rohdaten berichtet, ohne Bezug zur Bevölkerungsgröße. Die Angaben könnten sich jeweils auf 100.000 Einwohner beziehen.
Auch werden keine zeitlichen Bezugsgrößen genannt. So heißt es etwa "bisher gibt es 10.000 Fälle". Die Nennung von Rohdaten ohne Bezug zu anderen Todesursachen führt zur Überschätzung des Risikos. In Deutschland versterben etwa 2.500 Personen pro Tag. Die Angaben zu den Todesfällen durch Covid-19 sollten daher entweder die täglich oder wöchentlich verstorbenen Personen mit Angabe der Gesamttodesfälle in Deutschland berichten. Auch ein Bezug zu Todesfällen durch andere akute respiratorische Infektionen wäre angemessen.
Für den Hinweis, dass durch COVID-19 überwiegend ältere und kranke Menschen versterben, wäre ein Vergleich mit Personen sinnvoll, die an anderen akuten respiratorischen Erkrankungen versterben.
Die Frage, inwieweit es aus ethischer Sicht gerechtfertigt ist, nun in den Medien exemplarisch schwer verlaufende Einzelfälle zu berichten, ohne Einordnung in das Gesamtspektrum von Krankheit und Tod, sollte diskutiert werden.
Zudem bestehen bei den zur Verfügung stehenden Daten erhebliche Ungereimtheiten. Es ist vollkommen unklar, warum es gerade in Italien zu einer solch explosionsartigen Ausbreitung mit vielen Toten gekommen ist, und das nicht etwa in einer der ärmeren Regionen Italiens, sondern in der reichen Lombardei. Man kann dieses Geschehen sicher nicht einfach mit Verweis auf eine schlechtere medizinische Versorgung abtun, und auch ein Mangel an Messungen scheint in Italien nicht vorzuliegen.
Die Zahlen aus China sind wenig glaubwürdig. Dass in einem Land mit 1,4 Milliarden Menschen das "Containment" so gut funktioniert, dass sich plötzlich niemand mehr infiziert (25 Neuinfektionen im ganzen Land am 18.3., keine Neuinfektionen am 19.3.), erscheint doch sehr unwahrscheinlich. Und was passiert, wenn die NPIs gelockert werden? Ansteckungsrate, Virulenz und Pathogenität des Virus ändern sich doch durch das Containment nicht. Das heißt, dann wird die Ausbreitung, wie im Report des Imperial College prognostiziert, wieder Fahrt aufnehmen und exponentiell fortschreiten, bis ca. 60 bis 70% der Bevölkerung infiziert wurden und dann immun sind. Oder wurde dieser Status in China bereits erreicht? Dann wären die 3.217 Toten (Stand 19.3.) in Relation zu 1,4 Milliarden Bevölkerung allerdings weit unter der Todesfallrate der jährlichen Influenza, die wir bisher ohne drastische NPIs in Kauf nehmen.
Die bisher wenigen Todesfälle in z.B. Deutschland und Österreich sprechen ebenfalls eine andere Sprache. Wird hier im Fall von SARS-CoV-2 – im Gegensatz zur Influenza – einfach nur umfangreicher gemessen? 2017/18 sind in Deutschland 25.100 Menschen an Influenza verstorben. Wenn man die vom RKI für 2017/18 errechnete CFR von 0,5% zugrunde legt, entspricht dies einer Anzahl von 5 Millionen Infizierten. Die Grippe-Saison dauerte laut Surveillance-Bericht des RKI von der 52. Kalenderwoche 2017 bis zur 14. Kalenderwoche 2018, also 15 Wochen. Um innerhalb von 15 Wochen auf 5 Millionen zu kommen, müsste sich die Anzahl der Infizierten alle 4,4 Tage verdoppeln – ähnlich wie wir es jetzt bei SARS-CoV-2 sehen – nur bei der Influenza haben wir es nicht gemessen. Es gab jedenfalls 2017/18 keine Meldungen, dass unser Gesundheitssystem überlastet war, obwohl sicher alle 25.000 Grippetoten vor ihrem Tod medizinisch versorgt wurden, die meisten sicher stationär oder gar intensivmedizinisch.
Auch ein Vergleich zur diesjährigen Influenza-Aktivität könnte sinnvoll sein: Laut Wochenbericht 11 des RKI wurden bisher in dieser Saison 165.036 Influenzafälle labordiagnostisch bestätigt. 23.646 Fälle wurden wegen nachgewiesener Influenza hospitalisiert und 265 Personen sind an Influenza verstorben.
Der bekannte Epidemiologe John Ioannidis weist darauf hin, dass Coronaviren als typische Erreger von Erkältungskrankheiten jedes Jahr für Millionen von Infektionen verantwortlich sind und diese banalen Erkältungskrankheiten in bis zu 8% älterer, multimorbider Menschen mit Komplikationen wie Pneumonien tödlich enden. Der einzige Unterschied zu SARS-CoV-2 könnte sein, dass wir Corona-Virus Infektionsraten bisher nie in der Bevölkerung gemessen haben.
Es ist vollkommen unklar, ob SARS-CoV-2 saisonalen Schwankungen unterliegen wird wie die Influenza, d.h., ob sich mit wärmeren Temperaturen die Ausbreitung verlangsamen oder gar zum Stillstand kommen wird. Es ist auch unklar, ob das Virus anders als Influenza-Viren antigenetisch stabil ist oder wie diese mutiert, sodass sich keine dauerhafte Immunität entwickeln kann.
Es ist weitgehend unklar, inwieweit sich die Containment-Maßnahmen tatsächlich auf den Verlauf der Epidemie auswirken. Die Hinweise, die wir aus den asiatischen Ländern haben, sind sicher nur bedingt auf Europa mit seiner liberalen Lebenseinstellung übertragbar. Und was passiert, wenn die NPIs wieder beendet werden? Die Hochrechnungen aus dem Imperial College stimmen hier eher pessimistisch und prognostizieren eine zweite Erkrankungswelle für den Spätherbst, selbst wenn die derzeitigen Maßnahmen drei Monate durchgehalten werden, oder die Notwendigkeit intervallartig wiederholter NPIs über zwei Drittel der Gesamtzeit für ein ganzes Jahr.
Des Weiteren stellt sich die Frage, ob die Bevölkerung als Ganzes eine Immunität gegen die Erkrankung aufbauen wird und wann. Wird die Erkrankung dann möglicherweise zu einer typischen Kinderkrankheit, d.h. jeder, der sie noch nicht hatte, macht sie irgendwann durch und ist dann fortan geschützt, oder wird es auf Dauer zu saisonalen Krankheitsausbrüchen kommen – ähnlich der Influenza? Ist SARS-CoV-2 ein antigenetisch stabiles Virus oder weist es ähnlich wie das Influenza-Virus eine hohe Variabilität auf? Ob und wann es eine effektive Impfung geben wird, ist derzeit kaum abschätzbar.
Fazit
Es gibt insgesamt noch sehr wenig belastbare Evidenz – weder zu COVID-19 selbst, noch zur Effektivität der derzeit ergriffenen Maßnahmen.
Für Covid-19 kann derzeit niemand Aussagen zur Letalität treffen. Die case fatality rate (CFR) ist eine interessante Zahl, aber praktisch nicht relevant. Denn wenn man sich die simple Formel anschaut, egal was im Nenner oder Teiler passiert, es verändert den Wert – und das kann gewaltige Unterschiede haben. Folgende Parameter beeinflussen es:
- Anzahl der Tests: Je mehr Tests, desto wahrscheinlicher auch mehr positive Fälle.
- Strategische Durchführung der Tests: Je mehr Tests bei älteren, schwerkranken Personen, desto höher der die CFR. Je mehr Tests an jungen Personen, desto geringer die CFR.
- Kriterien und Todesursache: Logistisch lässt sich nicht in allen Fällen eine Obduktion durchführen, um die genaue Todesursache herauszufinden. Covid-19 begünstigt auch eine Lungenentzündung bakterieller Art – stirbt der Patient daran, ist dann das Virus oder das Bakterium schuld? Ist der Patienten also „an“ Covid-19 oder „mit“ Covid-19 gestorben? Diese Unsicherheit bleibt, sie kann höchstens verringert werden.
Wie weit das Virus in der Gesellschaft verbreitet ist, weiß man noch nicht
Eine Abwandlung der case fatality rate ist die so genannte infection fatality rate (IFR). Hierbei wird die Zahl der bekannten Infektionen den Todesfällen gegenübergestellt. Das Problem: das Virus infiziert einige Menschen, löst dabei aber keinerlei Symptome aus. Das ist gut für die Person, aber schlecht für die Erfassung. Schließlich kann sie das Virus durchaus weiterverbreiten, wird aber vermutlich nicht erfasst. Der Manifestationsindex gibt an, wie viel Prozent der Infizierten sichtbar erkranken. Dieser liegt für Covid-19 zwischen 51 und 81 Prozent.
Es ist das altbekannte Problem der Dunkelziffer. Letztlich ist nie genau bekannt, wie viele Menschen denn wirklich Träger des Virus waren oder zum jetzigen Zeitpunkt sind. Dieser Wert wird daher geschätzt. Für Covid-19 geht man von einer Dunkelziffer aus, die bis zu 11-Mal höher liegen könnte. Das hat erheblichen Einfluss auf zum Beispiel die Sterblichkeit und Verdopplungszeit.
Aufklärung über Dunkelziffer durch repräsentative Analysen
Nur eine Querschnittsanalyse bringt Licht in die Dunkelziffer. Dafür untersuchen Wissenschaftler eine repräsentative Gruppe, die alle Personengruppen und Altersstufen abdeckt. Bei Covid-19 zeigt sich auch sehr stark, dass sich das Virus an unterschiedlichen Orten stark ausgebreitet hat, auch das muss in die Analyse eingehen.
Solche weitreichenden, wenn auch nicht repräsentativen, Tests hat auf dem Kreuzfahrtschiff Diamond Princess, im italienischen Ort Vo und annähernd auch auf Island durchgeführt. Auf Island wurden mehr als 6000 Personen zufällig ausgewählt. Dabei kam heraus, dass die Häufigkeit der Infektion bei 0,84 Prozent lag (6163 Tests, 52 positive Fälle, Bevölkerung 364.000).
Immer mehr Menschen können sich testen lassen
Die Tests bestätigten auch, dass die Hälfte der positiven Fälle gar keine Symptome zeigte. Diese Menschen fallen in Deutschland und vielen anderen Ländern derzeit völlig aus dem Raster. Das RKI hat die Testkriterien jedoch angepasst. Mittlerweile ist der vorherige Kontakt zu einem bestätigten Coronafall nicht mehr zwingend erforderlich. Stattdessen werden inzwischen auch Risikopatienten (Vorerkrankungen) oder Risikogruppen (Ärzte und Pfleger) mit grippeähnlichen Symptomen getestet. Möglich macht das aber auch, dass die Testkapazitäten von anfangs rund 80.000 auf mittlerweile rund 700.000 mögliche Tests pro Woche erhöht wurden.
Nachträglich kann man den Virus kaum mehr nachweisen. Allerdings besteht im Nachhinein die Immunantwort, die einen indirekten Hinweis liefert. Über Antikörper lässt sich zeigen, wie viele Menschen bereits (unbemerkt) mit SARS-CoV-2 infiziert waren. Das erlaubt einen wichtigen Hinweis auf die Dunkelziffer, die Durchseuchung der Gesellschaft – und damit die Gesamt- sowie altersspezifische Sterblichkeit.
Repräsentative Studien sind geplant
Eine Studie unter Leitung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung soll das Blut von mehr als 100.000 Probanden nun auf Antikörper untersuchen. Auch sie ist nur eine Momentaufnahme, aber solche Stichproben sind das Beste, was derzeit Politikern als Entscheidungsgrundlage zur Verfügung steht.
Die Tests sollen anschließend regelmäßig stattfinden, um die Entwicklung der Pandemie in Deutschland zu beobachten. Neben den Einweisungen auf die Intensivstationen wäre es eine wichtige Datengrundlage, um den möglichen Verlauf der Pandemie besser einschätzen zu können, geeignete Maßnahmen zu ergreifen oder Einschränkungen wieder zu lockern.
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